"Das war im Jahr 2017. Philipp von Mirbach spielte einen Staatsanwalt in der Fernsehverfilmung des Bestsellers „Bella Germania“. Kleine Rolle sagt er, zwei Drehtage im Juli auf dem Bavaria Filmgelände, hätten Spaß gemacht. Aber Film, sagt Philipp von Mirbach, macht ihm eigentlich immer Spaß. Philipp von Mirbach ist also Schauspieler. Oder war er Schauspieler? Vor kurzem gab es eine Nachfrage vom Theater Augsburg für eine Gastrolle. Da hat er abgelehnt – nicht, weil er keine Lust gehabt hätte, sondern, weil er gerade keine Zeit hat. Er steckt mittendrin in der Ausbildung zum Heilpraktiker, demnächst sind Prüfungen. 18 Stunden arbeitet er pro Woche in einem Seniorenheim als ausgebildeter Pflegehelfer. Und dann gibt es auch andere Projekte, beispielsweise die offene Gymnastikstunde für ältere Menschen in der TSG Augsburg jeden Freitag, 10 Uhr: Sport trotz(t) der Demenz. Es wird getanzt, geturnt, mit den Männern macht von Mirbach gerne Boxtraining. Dann hält er sich einen Medizinball vor den Körper, auf den darf draufgehauen werden. Über die Wucht ist er immer wieder überrascht: „Die erleben sich plötzlich wieder ganz anders, als vitale Männer.“
Eine neue Chance? Mit Mitte 50? Gerade dann, sagt zum Beispiel die Schweizer Entwicklungspychologin Pasqualina Perrig-Chiello, die über die Krise und Neufindung in der Lebensmitte geforscht hat: Weil man in der Aufbauphase des Lebens noch viele Kompromisse machen müsse. „In der zweiten Lebenshälfte dagegen nicht mehr so viele.“ Dann sind die Menschen oft so frei wie lange nicht. Weil es so nicht mehr weitergeht oder weil es so nicht mehr weitergehen soll. Weil sich neue Talente, Bedürfnisse und Wünsche melden, weil das Leben eine neue Fülle haben soll. Es erfordert Mut und Ehrlichkeit, sich dem Thema zu stellen.“ Früher hat man die Krise eher ausgesessen, bis zur Rente oder „bis einen die Gesundheit rausgebröselt hat“. Vielleicht weil die Lebensarbeitszeit wieder länger wird. Vielleicht aber auch, weil Brüche im Lebenslauf längst zur Normalität geworden sind, sich eine neue Karriere-kultur etabliert. Man also auch wagen darf …
erschienen in der Augsburger Allgemeinen am 22.06.2018, im Gespräch mit S. Wirsching, Kulturredaktion